| Inhalt | Titel
| Nächstes Kapitel | Vorheriges
Kapitel | Vorwärts | Zurück
|
Das Geheimnis des Schlafs von A. Borbély
- Kapitel 7
Buchausgabe © 1984 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart
(vergriffen)
Ausgabe für das Internet, 1998, A. Borbély, Universität
Zürich.
Vom Schlaf der Tiere
»Daraus ergibt sich nun,
daß alle lebenden Wesen die Fähigkeit
zu schlafen haben.
Denn der Begriff des lebenden Wesens besteht
darin,
daß es Empfindungen hat.
Wir behaupten aber,
daß der Schlaf gewissermaßen eine
Unbeweglichkeit
und Fessel der Empfindung sei,
das Erwachen aber
ihre Lösung und Befreiung.«
Aristoteles
»lch schlafe wie ein Murmeltier.« -
»Du bist ein Siebenschläfer!« -
»Er schläft wie ein Bär.«
Vergleiche eines guten, tiefen Schlafes mit dem Schlaf
bestimmter Tiere sind gang und gäbe. Das in seinem unterirdischen
Bau eingekugelte, von dickem Pelz umhüllte Murmeltier ruft Vorstellungen
von Sicherheit und Wärme hervor, die wir mit gutem Schlaf in Zusammenhang
bringen. Beruhen diese ansprechenden Bilder auf Tatsachen? Verbringt das
Murmeltier den Winter in einem, dem tiefen Schlaf des Menschen vergleichbaren
Zustand? Wie wir im letzten Abschnitt dieses Kapitels sehen werden, unterscheidet
sich der Winterschlaf von unserem Nachtschlaf. Auch der Schlaf des Braunbären,
der zwar keinen eigentlichen Winterschlaf, aber eine Winterruhe pflegt,
ist nicht unbedingt mit dem nächtlichen Tiefschlaf vergleichbar. Bei
solchen oft angeführten Vergleichen aus der Tierwelt ist daher Vorsicht
geboten. Wir sollten den Schlaf der Tiere nicht »vermenschlichen«,
indem wir unsere eigenen Empfindungen in das schlafende Tier projizieren.
Die systematische Beobachtung sowie die Registrierung der Schlafstadien
geben uns zuverlässigere Auskunft darüber, welche Tiere wann
und wie schlafen.
Von Füchsen, Ratten, Elefanten -
der Schlaf von Säugetieren
Vor dem Schlafengehen scharrt der Fuchs den Boden
auf und beginnt sich dann am Ort kreisend einmal in die eine, dann in die
andere Richtung zu drehen, wobei die Schnauze beinahe die Schwanzspitze
berührt. Durch dieses Verhalten wird eine Liegemulde zurechtgetreten.
Dann setzt sich der Fuchs, schlägt den Schwanz bogenförmig nach
vorn ein und legt sich anschließend nieder. Vorderkörper
und Kopf sind so gebogen, daß die Schnauze zur Schwanzwurzel gerichtet
ist. Schließlich wird die Schnauze noch kurz angehoben, dann gesenkt
und unter den Schwanz geschoben (Abb. 7.1).
Ein solches, von der Zoologin Liselore Hassenberg
beschriebenes »Schlafritual« ist nicht nur beim Fuchs zu beobachten,
sondern auch bei vielen anderen Tieren. Offensichtlich legen sich Tiere
nicht unvermittelt an einem beliebigen Ort nieder, um zu schlafen. Vielmehr
stimmen sie sich durch vorbereitende Handlungen gleichsam in den Schlafzustand
ein. Auch der Schlafort ist für jedes Tier typisch. Fuchs und Bär
wählen mit Vorliebe schwer zugängliche Orte, z. B. Höhlungen,
für ihren Schlaf. Die Mönchsrobbe hat das Problem des sicheren
Schlafplatzes besonders originell gelöst. Sie taucht an steilen Felsklippen
in Höhlen, die, nur unter Wasser zugänglich, aber so hoch liegen,
daß sie innen trocken sind. Dort kann die Robbe ungestört und
sicher schlafen. Nagetiere ziehen sich in ihre Schlafnester zurück.
Der Hamster errichtet sein Nest im Erdwall, das Eichhörnchen auf Bäumen.
Auch einige Menschenaffen schlafen auf Bäumen. Sie richten sich allerdings
jeden Abend ein neues Schlafnest ein. Von gewissen Vögeln (zum Beispiel
den Perlhühnern) ist bekannt, daß sie sich abends auf ihre sogenannten
Schlafbäume zurückziehen, um dort in einer größeren
Gruppe die Schlafzeit zu verbringen.
Wie der Mensch nehmen auch Tiere typische Schlafstellungen
ein, von denen einige auf der Abbildung gezeigt sind.
Die Katze ruht in gestreckter oder eingerollter Seitenlage. Andere Tiere
bevorzugen die eingerollte Bauchlage (Kaninchen, Fuchs, Pferd) oder die
Seitenlage (Katze, Känguruh). Die auf der Abbildung
dargestellte Hyäne schläft in der sogenannten Bilchlage, wobei
der Körper von der Nasenspitze bis zum Schwanz bäuchlings eingekrümmt
ist. In dieser Schlafstellung kann sich das Tier zu einer vollständigen
Kugel einrollen. Die seltenere Rückenlage bevorzugen Löwen, sie
kann aber auch von anderen Tieren, z. B. Kaninchen oder Bären, eingenommen
werden. Der auf der Abbildung dargestellte Leopard
schläft in der Reitlage auf einem Ast, wobei die Beine und der Schwanz
schlaff herabhängen. Noch auffälliger ist die Hängehaltung
im Schlaf, wie sie für die Fledermaus als typisch gilt. Beobachtungen
bestätigen also, daß Säugetiere in ganz charakteristischen
Stellungen schlafen. Weisen sie aber auch Schlafstadien auf, die denjenigen
des Menschen vergleichbar sind?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die
elektrischen Hirnströme (EEG) zu Rate ziehen. Ähnlich wie beim
Menschen kann auch bei Tieren das EEG durch auf dem Schädel oder auf
der Hirnoberfläche aufliegende Metallelektroden abgeleitet und registriert
werden. Abbildung 7.2 zeigt elektrische Hirn- und
Muskelpotentiale der Ratte während des Wachzustandes und in den Schlafstadien,
wie wir sie vom Menschen her kennen. Wir erkennen, daß die Kurvenbilder
bei der Ratte jenen beim Menschen durchaus vergleichbar sind. Im Wachzustand
sind die Wellen klein und weisen einen regelmäßigen Rhythmus
von etwa sieben Schwingungen pro Sekunde auf (Theta- Rhythmus). Die Willkürmuskulatur
ist angespannt, was rasche und große Ausschläge in der Muskelableitung
(EMG) zur Folge hat. Nach dem Einschlafen sinkt diese Muskelspannung ab.
Im Non-REM-Schlaf zeigen die Hirnstromkurven hohe, breite und unregelmäßig
auftretende Wellen, im REM-Schlaf dagegen kleine, rasche und regelmäßige
Schwingungen. Im REM-Schlaf treten neben den raschen Augenbewegungen sporadische
Zuckungen der Schnauzenhaare und Pfoten auf. Non- REM-Schlaf und REM-Schlaf
konnten praktisch bei allen bisher untersuchten Säugetieren beobachtet
werden. Ausnahmen bilden der Delphin und der zu den Schnabeltieren gehörende
Ameisenigel, bei denen kein REM-Schlaf festgestellt wurde. Die Schlafstadien
und ihre typischen Veränderungen im EEG sind also für die meisten
Säugetiere charakteristisch.
Kehren wir nun zur Ratte zurück, um ihren Schlaf
noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Ratte ist ein nachtaktives
Tier und schläft vor allem tagsüber. Schlafregistrierungen über
24 Stunden zeigten, daß die Ratte pro Tag etwa zwölf Stunden
schläft. Von diesen entfallen zehn Stunden auf den Non-REM-Schlaf
und zwei Stunden auf den REM-Schlaf. Die Tageszeit, die der nächtlichen
Schlafzeit des Menschen entspricht, verbringt das Tier indessen nicht ausschließlich
schlafend, sondern ist mehr als zwei Stunden wach. Wie viele andere Tiere
hat auch die Ratte einen »polyphasischen«, also mehrphasischen
Schlaf, der immer wieder von Wachperioden unterbrochen wird. Eine einzelne
Schlafepisode der Ratte dauert in der Regel nur wenige Minuten und wird
dann von einer meist kurzen Wachepisode abgelöst. Wie beim Menschen
beginnt auch bei Tieren die Schlafepisode mit Non-REM-Schlaf, und geht
anschließend in REM-Schlaf über. Ein einzelner Non- REM-/REM-Schlafzyklus
dauert bei der Ratte lediglich zehn Minuten. Die Dauer einzelner Schlafstadien
ist damit viel kürzer als beim Menschen.
Wie sind die Verhältnisse bei anderen Säugetieren?
Nun, wir finden auch unter den Tieren Langschläfer und Kurzschläfer.
Zu den Langschläfern gehört zweifellos die Fledermaus, die täglich
20 Stunden schlafend verbringt. Auch das Oppossum (18-19 Stunden) und der
Igel (17-18 Stunden) gehören zu dieser Gruppe. Im Gegensatz dazu kommen
Kuh, Pferd und Elefant mit lediglich drei bis vier Stunden Schlaf pro Tag
aus. Vom Elefanten wurden allerdings auch längere Schlafzeiten berichtet.
Zwischen Schlafdauer und REM-Schlafanteil scheint kein direkter Zusammenhang
zu bestehen. Ein Pferd, das lediglich drei Stunden pro Tag schläft,
verbringt 20 Prozent seiner Schlafzeit im REM-Schlaf, der Maulwurf mit
acht bis neun Stunden Schlaf 25 Prozent, während die Maus mit 13 Stunden
Schlaf lediglich zehn Prozent REM-Schlaf aufweist. Gewisse übereinstimmende
Gesetzmäßigkeiten lassen sich trotzdem erkennen: So gilt für
Mensch und Tier gleichermaßen, daß sie im frühen Lebensalter
einen sehr hohen REM-Schlafanteil zeigen, der im Lauf der Entwicklung rasch
abnimmt. Die Ratte beispielsweise verbringt in den ersten zehn Tagen nach
der Geburt 72 Prozent ihrer Schlafzeit im REM-Schlaf, im Erwachsenenalter
dagegen nur 15-20 Prozent. Ähnliche Veränderungen finden wir
bei der Katze. Hingegen ist beim Meerschweinchen, das in einem viel reiferen
Zustand zur Welt kommt, der REM-Schlafanteil nach der Geburt bereits viel
kleiner als bei Ratte oder Katze und nimmt in den folgenden Wochen auch
viel weniger ab. Der hohe Anteil des REM-Schlafes im frühesten Lebensalter
scheint also mit dem Entwicklungszustand des Organismus zusammenzuhängen.
Einschränkend muß allerdings gesagt werden, daß Schlafstadien
bei neugeborenen Tieren noch nicht so eindeutig und zuverlässig unterschieden
werden können wie beim ausgewachsenen Tier.
Mehrfach wurde schon versucht, die Schlafeigenschaften
verschiedener Tierarten zu vergleichen und sie mit anderen Eigenschaften
und Lebensgewohnheiten in Zusammenhang zu bringen. Bei solchen vergleichenden
Untersuchungen ergab sich eine interessante Beziehung zwischen Stoffwechsel
und Schlaf. Kleine Tiere, die im allgemeinen einen intensiven Stoffwechsel
haben und die gewöhnlich auch nicht lange leben (so hat zum Beispiel
der Igel eine Lebensdauer von nur etwa 6 Jahren), schlafen länger
als die großen Tiere mit niedrigem Stoffwechsel und langer Lebensdauer
(das Pferd hat eine Lebensdauer von etwa 46 Jahren). Auch die Länge
des Non-REM-/REM-Schlafzyklus steht damit in Zusammenhang. So zeigen kleine
Tiere mit niedrigem Hirngewicht und intensivem Stoffwechsel eine kürzere
Zyklusdauer als große Tiere. Das läßt sich an folgenden
Beispielen zeigen: Der Non-REM-/REM-Schlafzyklus dauert bei der Ratte im
Durchschnitt zehn Minuten, bei der Katze 28 Minuten, beim Menschen 90 Minuten
und beim Elefanten 120 Minuten. Vereinfachend können wir somit feststellen,
daß ein kurzes, intensives Leben mit einer langen Schlafdauer und
kurzem Schlafzyklus einhergeht. Wie alle solche Regeln werden auch diese
durch recht zahlreiche Ausnahmen »bestätigt« oder in Frage
gestellt.
Kehren wir nach diesen etwas theoretischen Feststellungen
nun wieder zu konkreten Beispielen zurück, um das Problem des Schlafes
bei Tieren von einer anderen Seite her anzugehen. Huftiere wie Kühe,
Pferde, Schafe und Schweine verbringen viel Zeit im Zustand des Dösens,
der gewöhnlich nicht dem eigentlichen Schlafe zugeordnet wird. Beispielsweise
schläft eine Kuh etwa vier Stunden pro Tag, döst aber weitere
acht Stunden. Sie nimmt dabei eine liegende Stellung ein, hat aber Kopf
und Hals erhoben. Im Dösen zeigt das EEG-Kurvenbild sowohl schnelle
Wellen, wie sie gewöhnlich im Wachen auftreten, als auch langsamere
Wellen, die für den Non-REM-Schlaf typisch sind. Auch das Wiederkäuen
geht im Dösen vor sich und kann sogar noch im eigentlichen Schlafe
andauern. Offensichtlich ist der Übergang vom Wachzustand in den Schlaf
bei vielen Tieren ausgesprochen fließend. Die Kuh zeigt aber auch
sehr deutlich, wie stark Umwelteinflüße die Schlafstadien beeinflussen
können. Wie der französische Schlafforscher Yves Ruckebusch beobachtet
hat, verbringt die im Stall gehaltene Kuh 40 Minuten pro Tag im REM-Schlaf,
das auf der Weide lebende Tier jedoch nur 20 Minuten. Kehrt die Kuh nach
einem Aufenthalt von fünf Wochen auf der Weide in den Stall zurück,
so verlängert sich die REM-Schlafzeit vorübergehend auf bis zu
110 Minuten pro Tag, um dann allmählich wieder den Normalwert von
40 Minuten zu erreichen. Die Zeit auf der Weide scheint also mit einem
REM-Schlafdefizit einherzugehen, das dann in der Folge wieder ausgeglichen
wird.
Wenden wir uns zum Schluß einem jener wenigen,
hochspezialisierten Säuger zu, die im Wasser leben. Der 200 kg schwere
Tümmler - er gehört zur Familie der Delphine - lebt im Schwarzen
Meer. EEG-Registrierungen bei diesen Tieren zeigten ein überraschendes
Phänomen: Während einer Schlafepisode, die normalerweise 30-60
Minuten dauert, wies nur die eine Hirnhälfte ein typisches Schlaf-EEG
auf, während die andere ein Wach-EEG zeigte (Abb. 7.3). Sodann vertauschten
die beiden Hälften ihre Rollen: Nun zeigte die bisher wache Hälfte
ein Schlaf-EEG, während die andere »wach« war. Gleichzeitiger
Schlaf beider Hirnhemisphären war praktisch nie zu beobachten. Der
Tümmler schläft also immer nur mit einer Hirnhälfte. Die
Bedeutung dieser merkwürdigen Arbeitsteilung ist noch rätselhaft.
Die Beobachtungen zeigen aber eindeutig, daß der Schlaf bei diesem
Tier nicht zwangsläufig das gesamte Gehirn erfaßt, sondern nur
in Teilen des Gehirns vor sich gehen kann.
Abb. 7.1: Schlafstellung von Tieren.
(Mit freundlicher Genehmigung von L. Hassenberg.) (38k JPG file)
Abb. 7.2: Schlafstadien bei Säugetieren.
Bei allen Säugetieren sind die Schlafstadien aus den Hirn- und Muskelstromkurven
erkennbar. Das EEG der Ratte weist im Wachzustand und im REM-Schlaf niedrige
und rasche Wellen, im Non-REM-Schlaf hohe und langsame Wellen auf. Die
in der Nackenmuskulatur gemessene Muskelspannung (EMG) ist im Schlaf stark
herabgesetzt. Im REM- Schlaf treten zudem rasche Augenbewegungen auf. (14k
JPG file)
Abb. 7.3: Der Schlaf des Delphins.
Der Delphin schläft abwechselnd mit der rechten und linken Hirnhälfte.
(17k JPG file)
Die Frage nach dem Ursprung des Schlafs
Abb. 7.4 zeigt einen sogenannten Stammbaum, der
die Entwicklungsgeschichte der Lebewesen darstellt. Man nimmt heute an,
daß in »grauer Vorzeit« zunächst einzellige Lebewesen
entstanden sind, die sich im Laufe der Evolution zu Vielzellern entwickelt
haben. Wie verhält es sich nun mit der entsprechenden Entwicklungsgeschichte
des Schlafs? Um dieser Frage nachzugehen, muß man sich zunächst
nicht der »Krone« des Stammbaums, sondern jenen Tieren zuwenden,
die schon früher als die Säugetiere vom Hauptstamm abgezweigt
sind.
Betrachten wir zuerst die Klasse der Vögel.
Bei ihnen finden wir nicht nur ein eindeutiges Schlafverhalten, sondern
auch die für Säugetiere typischen EEG-Veränderungen. Die
Taube beispielsweise schläft im Durchschnitt nicht ganz zehn Stunden
pro Tag und verbringt davon etwa 40 Minuten im REM-Schlaf. Die einzelnen
REM-Schlafepisoden dauern allerdings nur wenige Sekunden. Neben dem typischen
EEG-Muster zeigt die Taube im REM-Schlaf auch rasche Augenbewegungen. Die
ausgeprägte Erschlaffung der Muskeln, die für den REM-Schlaf
der Säuger so typisch ist, fehlt offenbar bei den meisten Vögeln.
Nur bei der Gans wurde ein praktisch vollständiger Verlust der Nackenmuskelspannung
im REM-Schlaf beschrieben. Wie der englische Zoologe Dennis Lendrem berichtete,
öffnet die Taube auch im Schlaf immer wieder kurz die Augen, wahrscheinlich,
um auf diese Weise etwaige Gefahren in der Umgebung frühzeitig zu
erkennen. Wenn Tauben in Gruppen schlafen, öffnen sie ihre Augen weniger
häufig. Dieser Befund könnte damit erklärt werden, daß
in der Gruppensituation die Gruppe als Ganzes die Überwachungsaufgabe
übernimmt, da ja ein aufgescheuchter Vogel auch die übrigen alarmiert.
Der einzelne braucht deshalb in der Gruppe weniger wachsam zu sein als
wenn er isoliert schläft.
Ein besonderes Rätsel geben die Zugvögel
auf. Sie müssen auf ihrem Zugweg zuweilen mehrere Tage lang offenes
Meer überfliegen und können während dieser Zeit den Flug
nicht unterbrechen. Ob sie völlig ohne Schlaf auskommen oder die Fähigkeit
entwickelt haben, im Fliegen oder Gleiten zu schlafen, ist eine noch ungelöste
Frage. Ihre Beantwortung könnte wertvolle Hinweise geben, ob der Schlaf
für höher entwickelte Lebewesen unbedingt notwendig ist.
Wenden wir uns nun der Klasse der Reptilien zu,
deren Ahnen als die entwicklungsgeschichtlichen Vorfahren der Vögel
betrachtet werden. Der amerikanische Schlafforscher Edward Tauber beschreibt
das Schlafverhalten des Chamäleons folgendermaßen: » In
den Stunden vor Sonnenuntergang läßt sich das Tier typischerweise
auf einem Ast nieder, rollt seinen Schwanz wie eine Uhrenfeder ein, bleibt
bewegungslos, obwohl sich die Augen unabhängig voneinander weiterhin
bewegen. In diesem Vor-Schlafstadium greift das Tier keine Insekten an
und nimmt sogar von jenen nicht Notiz, die auf seinem Körper landen...
Kurz nach Sonnenuntergang schließen sich die ringförmigen Augenlider,
die Augäpfel ziehen sich in die Augenhöhle zurück und das
Tier scheint zu schlafen. Ohne Störungen bleibt das Tier im allgemeinen
die ganze Nacht über in dieser Stellung.« [39]
Wir sehen aus diesem Beispiel, daß auch Reptilien
ein eindeutiges Schlafverhalten aufweisen können. Die wenigen Untersuchungen,
bei denen auch Hirnströme registriert wurden, zeigten allerdings ein
Kurvenbild, das sich von jenem der Säuger und Vögel unterscheidet.
Die herkömmliche Einteilung der Schlafstadien ist daher bei Reptilien
nicht ohne weiteres möglich. Das gilt auch für die Klasse der
Amphibien, zu denen Frösche und Lurche gehören. Da Amphibien
zudem auch im Wachen während längerer Zeit bewegungslos verharren,
ist es schwierig, den Schlaf aufgrund des Verhaltens zu erkennen. Zudem
läßt sich bei jenen Landtieren, die ihre Körpertemperatur
nicht selbständig aufrecht erhalten können (Wechselwarmblüter:
Reptilien, Amphibien), der Schlaf nicht immer von der Kältestarre
abgrenzen, die bei tiefen Temperaturen auftritt.
Bei Fischen läßt sich dagegen der Schlaf
gut feststellen. Ähnlich wie Säugetiere suchen auch gewisse Fischarten
einen bestimmten Ruheort auf und nehmen dort charakteristische Ruhestellungen
ein. Im Ruhezustand reagieren sie auf milde Außenreize nicht mehr,
werden aber durch stärkere Reize aktiviert. Ein interessantes Beispiel
ist der Papageienfisch, der vor der Ruhephase eine Schleimhülle absondert,
in die er sich dann einhüllt und versteckt.
Insgesamt können wir also feststellen, daß
ein Schlafverhalten bei allen Wirbeltieren zu beobachten ist. Wie steht
es nun aber mit den wirbellosen Tieren, die entwicklungsgeschichtlich vor
den Wirbeltieren entstanden sind? Betrachten wir wiederum ein Beispiel:
Der Seehase (Aplysia) ist eine Riesenschnecke, die im Meere lebt und zu
den Weichtieren gehört (Abb. 7.5). Sein Verhalten wurde vom amerikanischen
Forscher Felix Strumwasser untersucht. Das in einem Tank gehaltene Tier
schwimmt tagsüber umher und verbringt viel Zeit mit Nahrungssuche.
Bei Sonnenuntergang begibt es sich in eine Ecke des Tanks, zieht sich zusammen
und bleibt ruhig. In der Nacht sind nur gelegentliche Kopf- und Fühlerbewegungen
zu beobachten. Morgens nach Sonnenaufgang »erwacht« das Tier
und beginnt eine neue Aktivitätsperiode.
Die Motte ist ein weiteres Beispiel eines wirbellosen
Tieres. Das kleine Insekt fliegt nicht ständig umher, sondern zeigt
periodisch kurze Ruhephasen. Je länger diese Phasen andauern, desto
stärkere Außenreize sind nötig, um das Tier zu aktivieren.
Auch die Körperstellung scheint mit der »Schlaftiefe«
in Zusammenhang zu sehen. Im tiefsten Ruhezustand sind die Fühler
auf dem Rücken zurückgefaltet und von den Flügeln bedeckt.
In diesem Zustand kann man mit einem feinen Pinsel die Flügel sogar
anheben, ohne daß die Motte darauf reagiert. Diese beiden Beispiele
zeigen, daß auch bei wirbellosen Tieren offenbar schlafähnliche
Ruheperioden vorkommen.
Richtet man nun das Augenmerk auf die Abfolge von
Ruhe und Aktivität, wie sie über längere Zeit hinweg aufgezeichnet
werden kann, dann ist bei den meisten Tieren eine deutliche Tagesperiodik
zu erkennen. Wie Abb. 7.6 zeigt, ist der Rhythmus von Ruhe (weiße
Zwischenräume) und Aktivität (schwarze Balken) beim Menschen,
bei der Ratte und der Fliege recht ähnlich, obwohl die aktive Phase
zu unterschiedlichen Tageszeiten auftritt. Auf der Abbildung
7.7 wird ein Beispiel aus dem Pflanzenreich gezeigt: Die Blattstellung
der Bohne zeigt ebenfalls eine deutliche Tagesperiodik. In der Hellperiode
sind die Blätter ausgebreitet, in der Dunkelperiode hängen sie
herab. Wie wir noch sehen werden, sind Tagesrhythmen nicht bloß durch
zyklische Veränderungen der Umwelt, wie Licht und Dunkel, bedingt,
sondern entstehen durch einen körpereigenen Zeitgeber, eine »innere
Uhr«. Hier wollen wir auf diesen Aspekt nicht weiter eingehen, sondern
lediglich auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Tagesrhythmen
und Schlaf hinweisen. Tagesperiodische Vorgänge sind, wie wir an einigen
Beispielen gezeigt haben, in der gesamten Tierwelt verbreitet und können
bis zu den einfachsten Lebewesen, den Einzellern, zurückverfolgt werden.
Wir können vermuten, daß dieser 24-Stunden-Rhythmus von Ruhe
und Aktivität im entwicklungsgeschichtlichen Sinne ein Vorläufer
des Schlaf-Wach-Zyklus sein könnte. Die täglich zu bestimmten
Tageszeiten auftretende Ruheperiodik würde also der Schlafperiode
höherer Wirbeltiere entsprechen. Wir werden in späteren Kapiteln
den Schlaf als Teil eines biologischen Rhythmus betrachten und dabei feststellen,
daß dieser Aspekt besonders für die Schlafregulation wichtig
ist.
Abb. 7.4: Entwicklungsgeschichte der Lebewesen als
Stammbaum dargestellt. (50k JPG file)
Abb. 7.5: Seehase. Auch der zu den Weichtieren gehörende
Seehase zeigt ein Schlafverhalten. (7k JPG file)
Abb. 7.6: Ruhe-Aktivitäts-Rhythmen von Ratte,
Mensch und Fliege. Die Ruhe-Aktivitäts-Rhythmen sind ähnlich.
Aktivitätsperioden sind durch waagrechte Striche, Ruheperioden durch
weiße Zwischenräume dargestellt. Die Ratte ist nachts aktiv,
Mensch und Fliege sind tagsüber aktiv. (Aufzeichnung der Fliege nach
einer Arbeit von Aschoff und Saint Paul, 1978.) (21k JPG file)
Abb. 7.7: Tagesrhythmus von Pflanzen (Bohne). Auch
Pflanzen weisen Tagesrhythmen auf. Blattbewegungen einer Bohne während
3 Tagen. Hohe Werte der Kurve: herabhängende Blätter; tiefe Werte:
ausgebreitete Blätter. Schwarze Balken über der Kurve geben die
Dunkelperiode an. (Nach Bünning, 1973, Fig. 4, 5.) (22k JPG file)
Schlaf als regulierter Vorgang
Wie wir gesehen haben, lassen sich die Schlafstadien
immer weniger eindeutig bestimmen, je weiter wir dem Entwicklungsstammbaum
nach unten folgen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß
sich die Gehirnstrukturen »niederer« Tiere von jenen der Säugetiere
immer mehr unterscheiden, so daß damit auch die aus dem Gehirn ableitbaren
elektrischen Signale immer weniger vergleichbar sind. Obwohl wir ein schlafähnliches
Verhalten auch bei einfachen Tieren beobachten können, bleiben doch
Zweifel, ob dieser Zustand als eigentlicher Schlaf zu verstehen ist. Um
diese Frage weiter zu klären, dürfen wir uns nicht nur auf die
Beschreibung des Schlafes beschränken, sondern müssen auch seine
dynamischen Eigenschaften in Betracht ziehen. Der Schlafentzug dient dabei
als wichtige Arbeitsmethode.
Wir wollen auch diesen Aspekt am Schlaf der Ratte
betrachten: Wie aus Abb. 7.8 ersichtlich, ist unter den Ausgangsbedingungen
(»Vor Schlafentzug«) der Schlaf der Ratte durch eine Abfolge
von Non-REM und REM-Schlaf gekennzeichnet. Indem wir die Methode der EEG-Spektralanalyse
heranziehen, können wir den Anteil langsamer Wellen (Delta-Schlaf)
am Non-REM-Schlaf untersuchen. Die hohen Gipfel in der Deltaaufzeichnung
zeigen den Tiefschlaf des Tieres, der dem Stadium 3 und 4 des Menschen
entspricht. Die Täler entsprechen Wach- und REM-Schlaf-Perioden, in
welchen langsame Wellen fehlen. Die REM-Schlafepisoden sind durch Rechtecke
unter der Deltaaufzeichnung gekennzeichnet. Hindert man das Tier während
24 Stunden am Schlaf, so ist die Folge eine Zunahme von Delta-Schlaf und
REM-Schlaf. Die höheren Gipfel in der Deltaaufzeichnung kommen durch
das Auftreten besonders großer, langsamer Wellen im EEG zustande.
REM-Schlafepisoden werden nach Schlafentzug häufiger und länger.
Der verlängerte Wachzustand hat also eine Intensivierung des Non-REM-Schlafes
und eine Vermehrung des REM-Schlafes zur Folge.
Nicht nur die Ratte, sondern auch andere Tiere reagieren
in ähnlicher Weise auf Schlafentzug. Wie wir noch sehen werden, sind
die Verhältnisse beim Menschen nicht grundsätzlich verschieden.
Der Schlaf ist also ein Vorgang, der von der Dauer der vorangehenden Wachzeit
abhängig ist. Es scheint, als ob der »verlorene« Schlaf
bei der ersten besten Gelegenheit nachgeholt werden müßte. Da
also Dauer und Intensität des Schlafes offenbar einer Regulation unterliegen,
müssen wir uns die Frage stellen, ob nicht gerade dieser Aspekt zur
Erforschung des Schlafs einfacher Lebewesen dienen könnte.
Meine Mitarbeiterin, Irene Tobler, ist diesem Problem
nachgegangen. Als Versuchstier für ihre Experimente wählte sie
ein Insekt, die Küchenschabe, die wegen ihres ausgeprägten Ruhe-/Aktivitäts-Rhythmus
ein geeignetes Forschungsobjekt ist. Die Frage war also, ob ein schlafähnlicher
Prozeß bei diesem Tier feststellbar ist. In den ersten Versuchen
wurde das normale Ruhe-/Aktivitätsverhalten während mehrerer
Tage registriert. Die Schabe ist tagsüber ruhig und wird erst bei
Nachteinbruch aktiv. Im eigentlichen Experiment wurde nun das Insekt während
einer Ruhezeit drei Stunden lang durch äußere Reize gestört.
Die Folge dieses »Ruheentzugs« war, daß die Bewegungsaktivität
nachts in den der Störung unmittelbar folgenden Stunden reduziert
war. Die Reaktion entspricht also derjenigen eines Säugetiers, das
nach Schlafentzug den verlorenen Schlaf nachholt. Daß das Versuchsergebnis
nicht lediglich auf eine Erschöpfung des Insektes zurückzuführen
war, zeigten weitere Experimente, in denen die Schabe nur ganz gering gestört
wurde. Auch nach einer solchen Störung war eine Verlängerung
der Ruheperiode zu beobachten.
Das beschriebene Experiment ist ein erster Versuch,
den entwicklungsgeschichtlichen Ursprung des Schlafes vom Gesichtspunkt
der Schlafregulation aus näher zu klären. Die genannten Befunde
lassen vermuten, daß der Schlaf oder ein dem Schlaf entsprechender
Zustand in der Evolution viel früher aufgetreten ist, als bisher angenommen
wurde.
Abb. 7.8: Schlafentzug bei einer Ratte. Schlafentzug
bei der Ratte begünstigt den Non-REM-Schlaf mit langsamen EEG-Wellen
(= Deltaschlaf) und erhöht Häufigkeit und Dauer der REM-Schlafepisoden.
Die Abbildung zeigt Spektralkurven der langsamen EEG-Wellen (1-4 Hz = Deltawellen)
vor und nach Schlafentzug (Dauer: 24 Stunden). Darunter sind jeweils die
REM- Schlafepisoden als Rechtecke dargestellt, die in den »Tälern«
der Spektralkurven liegen. (33k JPG file)
Der Winterschlaf
Für viele Tiere ist der Winter eine bedrohliche
Jahreszeit. Zugvögel müssen große Entfernungen zurücklegen,
um sich im Herbst in wärmere Regionen zu begeben, wo sie überwintern
können. Dagegen können Säugetiere der winterlichen Kälte
nicht entrinnen. Einige von ihnen begegnen dieser Gefahr durch eine innere
Umstellung: Sie drosseln Atmung und Kreislauf auf ein Minimum und begeben
sich in einen schlafähnlichen Ruhezustand. Die Körpertemperatur
kann dabei bis fast auf den Gefrierpunkt absinken und der Stoffwechsel
bis auf 10-15 Prozent des Normalwertes gedrosselt werden. Igel, Fledermäuse,
Wiesel, Murmeltiere, Hamster und Schlafmäuse pflegen einen solchen
echten Winterschlaf. Während dieser winterlichen Ruhezeit zehren die
Tiere von ihren Fettreserven, die sie nach und nach aufbrauchen. Andere
Tiere wie Eichhörnchen, Präriehunde und Braunbären machen
keinen eigentlichen Winterschlaf, sondern begeben sich nur in eine »Winterruhe«,
während der Körpertemperatur, Atmung und Herztätigkeit nicht
stärker reduziert werden als im normalen Schlaf. Die meisten Tiere
ziehen sich dabei in ihren Bau zurück, wo sie von ihren Körperreserven,
aber auch von Nahrungsvorräten (z. B. Nüssen) zehren.
Die Beziehungen zwischen natürlichem Schlaf
und Winterschlaf wurden erst kürzlich eingehend untersucht. Dabei
zeigte es sich, daß der Übergang in den Winterschlaf aus dem
Non-REM-Schlaf heraus erfolgt. Herrscht zum Beispiel nur ein leichter Winterschlaf
vor, wobei die Körpertemperatur nicht stark absinkt, kann man bei
der Schlafmaus einen kontinuierlichen Non-REM-Schlaf registrieren, während
der REM-Schlaf überhaupt nicht zu beobachten ist. Dagegen sind im
eigentlichen tiefen Winterschlaf die Hirnstromkurven flach und mit jenen
des natürlichen Schlafs nicht vergleichbar. Von besonderem Interesse
ist übrigens der Tagesschlaf der Fledermaus (sog. Lethargie), bei
dem die Körpertemperatur ebenfalls deutlich absinkt. Leider wurde
in diesem Zustand das EEG noch nicht eingehend untersucht.
Nach unseren heutigen Kenntnissen sind also der
normale Tages- oder Nachtschlaf einerseits und der Winterschlaf andererseits
verschiedene Vorgänge. Man kann sich dennoch fragen, ob der Non- REM-Schlaf
nicht doch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Winterschlaf zeigt. Der
nach Schlafbeginn auftretende Tiefschlaf (Stadium 3 und 4 des Non-REM-Schlafes
beim Menschen) ist ebenfalls durch ein deutliches Absinken der Körpertemperatur
sowie durch die Verlangsamung von Atmung und Herztätigkeit gekennzeichnet.
Der Zustand von Ruhe und Bewußtseinseinschränkung, in dem wir
die kältere, dunkle Nachtzeit verbringen, hat vielleicht doch mehr
Gemeinsamkeiten mit jenem »Schlaf«, in welchem gewisse Tiere
die kalte, dunkle Jahreszeit überstehen. Auch hier steht die Forschung
noch vor wichtigen ungelösten Fragen.
| Inhalt | Nächstes
Kapitel | Kapitelanfang | Vorwärts
| Zurück |