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Das Geheimnis des Schlafs von A. Borbély - Kapitel 5
Buchausgabe © 1984 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart (vergriffen)
Ausgabe für das Internet, 1998, A. Borbély, Universität Zürich.
 
Schlafmittel
(Hypnotica)
 
Nicht Mandragora noch Mohn
Noch alle Schlummersäfte der Natur
Verhelfen je dir zu dem süßen Schlaf,
Der gestern dein noch war.
Shakespeare
 
 
 
Schlafmittel gehören zu den meistgebrauchten Medikamenten überhaupt. In den USA, beispielsweise, nehmen sechs bis neun Millionen erwachsene Personen pro Jahr Schlafmittel ein. Fast 40 Prozent sind Leute über 60 Jahre, obwohl sie nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Mit dem Alter nimmt also der Schlafmittelkonsum drastisch zu. Wie wirken diese so häufig gebrauchten Medikamente? Welches sind ihre Vorteile, welches ihre Risiken? Und eine weitere, sehr wichtige Frage: Erzeugen diese Substanzen tatsächlich einen natürlichen Schlaf?
 
Die eigentlichen Schlafmittel gibt es erst seit etwas mehr als hundert Jahren. Natürlich wurde schon seit jeher versucht, den Schlaf mit Elixieren und Drogen herbeizuführen, denn das Problem der Schlaflosigkeit ist so alt wie die Menschheit selbst. Im Mittelalter wurden Schlafsalben, Schlafschwämme, Schlafumschläge und einschläfernde Pflaster verwendet, um Schlafstörungen zu behandeln, aber auch, um Patienten vor Operationen einzuschläfern. Der Alkohol wird schon seit Urzeiten als leicht zugängliches Schlafmittel gebraucht. Wie wir noch sehen werden, erzeugt er aber gewöhnlich nur einen kurzen, rauschähnlichen und wenig erholsamen Schlaf, dem nach dem Erwachen unangenehme Katersymptome folgen. Auch Opium, Haschisch, sowie aus Nachtschattengewächsen hergestellte Präparate wurden früher häufig bei Schlafstörungen verschrieben. Wie wir jedoch heute wissen, war die schlaffördernde Wirkung aller jener in der »präpharmakologischen Ära« verwendeten Mittel gering. Die ersten »echten« Schlafmittel waren Chloralhydrat und Paraldehyd, die in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zur Anwendung kamen und auch heute noch unter den Schlafmitteln figurieren. Der unangenehme Geschmack und Geruch schränkt allerdings ihren Gebrauch etwas ein.
 
 
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Barbiturate - veraltete »Klassiker«
  
Die Barbitursäure wurde im Jahre 1864 von Adolph von Baeyer, einem neunundzwanzigjährigen Hochschulassistenten, aus Harnstoff und Malonsäure hergestellt. Diese gelungene Synthese soll in einem Wirtshaus in Ghent gefeiert worden sein, das das Stammlokal von Artillerie-Offizieren war. Da es gerade der Tag ihrer Schutzpatronin, der heiligen Barbara, war, soll die neue Substanz den Phantasienamen Barbiturat (Urea = Harnstoff) bekommen haben. Nach anderen, ebensowenig bestätigten Berichten soll eine leibhaftige Dame namens Barbara im Spiel gewesen sein.
 
Barbiturate wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts in der Medizin als Schlafmittel eingeführt und fanden bald eine riesige Verbreitung. Von den mehr als 2500 auf chemischem Wege hergestellten Barbituraten kamen ungefähr 50 Präparate in der Medizin zur Anwendung. Während der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Barbiturate die weitaus am meisten verwendeten Schlafmittel. Obwohl sie sich als wirksame, zuverlässige Präparate erwiesen hatten, war ihre Anwendung doch auch mit Nachteilen und Risiken verbunden: Schon bei einer zehnfachen Überdosis kann es zu schwerer Vergiftung kommen, die sich anfangs als rauschähnlicher Zustand und alsdann in tiefer Bewußtlosigkeit äußert. Atemtätigkeit und Kreislauf sind besonders beeinträchtigt. Ein Schocksyndrom mit Versagen der Lungen- und Nierenfunktion sowie Unterkühlung sind gefürchtete Komplikationen. Wird der Vergiftete früh genug behandelt, hat er eine gute Chance, mit dem Leben davonzukommen. Schlafmittel können auch durch Unachtsamkeit in Kinderhände gelangen und so zu Vergiftungen führen. Andererseits werden sie von Erwachsenen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, absichtlich eingenommen. Noch im Jahre 1963 wurden in den USA zehn Prozent aller Selbstmorde mit Barbituraten vorgenommen. Mit dem rückläufigen Gebrauch dieser Medikamente ist inzwischen die durch Barbiturate verursachte Selbstmordquote stark zurückgegangen.
 
Barbiturate können, wie andere Schlafmittel auch, körperliche Abhängigkeit (Sucht) erzeugen. Die Substanzen werden gelegentlich zusammen mit Opiaten eingenommen, um deren rauscherzeugende Wirkung zu steigern. Das plötzliche Absetzen des Mittels kann bei einem Barbituratsüchtigen zu schweren, mitunter lebensgefährlichen Entzugserscheinungen führen.
 
Schon vor Jahrzehnten war man bestrebt, Schlafmittel ohne die nachteiligen Wirkungen von Barbituraten zu entwickeln. Im Jahre 1956 schien endlich ein Durchbruch gelungen zu sein. Ein wirksames Schlafmittel, das Contergan (internationale Bezeichnung: Thalidomid), kam in Deutschland auf den Markt und fand eine rasche Verbreitung. Sein großer Vorzug war, daß es, im Unterschied zu den Barbituraten, selbst bei Überdosis keine schweren Vergiftungserscheinungen erzeugte. Das »sichere« Schlafmittel schien endlich gefunden zu sein. Es dauerte ganze fünf Jahre, bis man erkannte, daß mit der Einführung dieses scheinbar harmlosen Barbituratersatzes eine der größten pharmakologischen Katastrophen heraufbeschworen worden war. Mütter, die während der Schwangerschaft das Mittel eingenommen hatten, gebaren schrecklich mißgebildete Kinder, denen Arme und Beine fehlten. Die Gesamtzahl solcher Mißgeburten wird auf 10 000 geschätzt, etwa die Hälfte dieser Kinder blieb am Leben. Seit jenem furchtbaren Unglück, das niemand vorausgesehen hatte, wurde die Prüfung neuer Pharmaka verschärft. Nicht nur Schlafmittel, sondern auch andere Medikamente werden heute in der frühen Schwangerschaft nur noch bei zwingenden Gründen verschrieben.
 
 
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Benzodiazepine - die modernen Schlafmittel
  
Die Benzodiazepine haben unter den Schlafmitteln heute jene Vorzugsstellung inne, die ein halbes Jahrhundert lang den Barbituraten vorbehalten war. Für Medikamente des Benzodiazepin-Typs werden in den USA jährlich ungefähr 100 Millionen Rezepte ausgestellt. Diese neue Klasse von Medikamenten wurde Anfang der sechziger Jahre zuerst als Tranquillizer eingeführt (Librium und Valium waren die bekanntesten Präparate) und fanden eine rasche, weltweite Verbreitung. Erst nach mehreren Jahren wurde man gewahr, daß die beruhigende Wirkung der Benzodiazepine auch zur Schlafförderung ausgenützt werden kann. Auf der folgenden Tabelle sind typische Benzodiazepin-Schlafmittel aufgeführt. Daneben lassen sich aber auch die von den Schlafmitteln nicht scharf abgrenzbaren Tranquillizer bei Schlafstörungen verwenden.
 
Im Vergleich zur Anwendung von Barbituraten und anderen älteren Schlafmitteln war die Einführung der Benzodiazepine ein erheblicher Fortschritt. Bei Überdosis kann es zwar immer noch zu einer Vergiftung kommen, und eine Abhängigkeit von diesen Mitteln ist ebenfalls möglich. Doch sind beide Risiken viel weniger ausgeprägt als bei den älteren Schlafmitteln. Mit Benzodiazepinen allein sind selbst nach hoher Überdosis tödliche Vergiftungen selten. Allerdings muß einschränkend bemerkt werden, daß auch diese Mittel gefährlich sind, vor allem, wenn sie zusammen mit Alkohol oder anderen Psychopharmaka eingenommen werden. Die Benzodiazepine sind also wirksame Schlafmittel, wobei die zur Schlafförderung erforderliche Dosis im allgemeinen zehn- bis hundertmal kleiner ist als bei den früher verwendeten »klassischen« Mitteln. An dieser Stelle sei auf eine pharmakologische Größe hingewiesen, die in der Tabelle angeführt ist und die für den Zeitverlauf der Wirkung von Bedeutung ist: Etwas vereinfachend kann die Eliminations-Halbwertszeit als jene Zeit definiert werden, innerhalb derer die Hälfte einer Substanz aus dem Körper ausgeschieden wird. Obwohl die Wirkung auch durch andere Faktoren (z. B. durch die Aufnahme durch den Darm und die Verteilung im Körper) mitbestimmt wird, gibt die Eliminations-Halbwertszeit doch einen wichtigen Hinweis auf die Verweildauer des Medikaments im Organismus. Wie wir aus der Tabelle ersehen, haben die drei ersten Schlafmittel lange Halbwertszeiten. Bei Flurazepam hat ein aus dieser Substanz entstehendes Abbauprodukt, das ebenfalls Schlafmittelwirkung hat, eine Halbwertszeit von mehreren Tagen. Wird Flurazepam einige Tage lang jeden Abend eingenommen, erhöht sich seine Konzentration im Blut ständig, so daß nach 7 bis 10 Tage dauernder Einnahme morgens bereits eine vier- bis sechsfach höhere Konzentration festzustellen ist als nach der ersten Nacht. Man spricht hier von einer sogenannten Kumulation.
 
Abb. 5.1: Schlafmittel. Es gibt eine verwirrend grosse Zahl von Schlafmitteln. (28k JPG file)
 
 
Schlafmittel der Benzodiazepinklasse

Internationaler Name Markenname Halbwertszeit

Flurazepam Dalmadorm
Dalmane 3 Tage
Flunitrazepam Rohypnol 1 Tag
Nitrazepam Mogadon
Mogadan 1 Tag
Lormetazepam Noctamid 1/2 Tag
Triazolam Halcion 2-3 Stunden
Midazolam Dormicum 2-3 Stunden

Anmerkung: Mit der Halbwertszeit ist die sogenannte Eliminations-Halbwertszeit des Medikaments oder seines, als Schlafmittel wirksamen, Abbauproduktes gemeint.
 
 
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Wirknachweis von Schlafmitteln
 
Die meisten in den Apotheken erhältlichen Schlafmittel sind erwiesenermaßen wirksam. Früher war man bei der Beurteilung der Wirkung ausschließlich auf das Urteil der Ärzte und Patienten angewiesen. Heute werden alle neuen Mittel strengen wissenschaftlichen Testverfahren unterzogen, um Wirkungen und Nebenwirkungen zu überprüfen. Das ist erforderlich, da es keineswegs selbstverständlich ist, daß ein als Schlafmittel bezeichnetes Medikament tatsächlich eine pharmakologische Wirkung ausübt. So weiß man schon lange, daß gewisse schlafgestörte Patienten auch auf ein Placebo (d. h. ein Scheinpräparat, das keinerlei Wirkstoff enthält) ansprechen. Die Erwartung der schlaffördernden Wirkung einer Kapsel reicht bereits aus, um den Schlaf herbeizuführen. Um dem Rechnung zu tragen, wird daher gewöhnlich ein Schlafmittel in einem sogenannten Doppelblind-Verfahren mit einem Placebo-Präparat verglichen. Das bedeutet, daß neben der Prüfsubstanz in einer unvorhersehbaren Abfolge auch das genau gleich aussehende Placebo-Präparat verabreicht wird. Weder Versuchsperson noch Versuchsleiter wissen bis zum Abschluß der Untersuchung Bescheid, welches Mittel wann zur Anwendung kommt. Stellt man bei dieser Versuchsanordnung einen Unterschied zwischen Placebo und Pharmakon fest, so kann man mit Gewißheit den Schluß ziehen, daß dieser der pharmakologischen Wirkung des Mittels zuzuschreiben ist.
 
Wie wird die Wirksamkeit eines Schlafmittels im konkreten Fall überprüft? Hier kann man sowohl die Selbstbeurteilung durch die Versuchsperson oder durch den Patienten in Betracht ziehen als auch den Schlafvorgang mit Meßmethoden registrieren. Das erstgenannte Verfahren soll durch die 10-cm- Selbstbeurteilungsskalen illustriert werden (Abbildung 5.2). Am Morgen nach dem Erwachen wird der Proband aufgefordert, seinen Schlaf auf einer Skala einzustufen, deren Endpunkte als » ruhig - unruhig«, »tief - oberflächlich « oder » sehr erholsam - wenig erholsam« bezeichnet sind. Durch eine Markierung gibt die Versuchsperson an, in welcher Richtung der Schlaf nach Einnahme des Mittels vom üblichen Schlaf abgewichen ist. Zur Auswertung wird lediglich die Länge der unterteilten Skala ausgemessen. Dieses so einfache und vielleicht unpräzis erscheinende Meßverfahren hat sich als ein sehr empfindliches Meßinstrument bewährt, mit dem selbst nach kleinen Dosen von Schlafmitteln subjektive Veränderungen des Schlafes nachgewiesen werden.
 
Die folgende Abbildung zeigt das Ergebnis einer anderen Methode, das nicht auf der Beurteilung durch die Aussage der Versuchspersonen beruht. Hier wurde mit einem am Handgelenk getragenen Meßgerät während der ganzen Nacht die Bewegungsaktivität im Schlafe gemessen. Nach jeder Meßperiode von 7,5 Minuten Dauer wurde die Gesamtzahl der Bewegungen im Gerät gespeichert. Auf der Aufzeichnung der Placebo-Nacht sehen wir nach Schlafeintritt Perioden absoluter Ruhe und Perioden mit mehr oder weniger Bewegungen. Nach Einnahme eines Benzodiazepin-Schlafmittels (untere Aufzeichnung) sind die Ruheperioden, besonders in der ersten Nachthälfte, deutlich verlängert. Schlafmittel bewirken also nicht nur einen subjektiv ruhigeren Schlaf, sondern verringern auch die objektiv gemessene nächtliche Bewegungsaktivität.
 
Die genauesten Aussagen über die Wirkung von Schlafmitteln lassen sich mit Registrierungen im Schlaflabor machen. Allerdings muß die hohe Aussagekraft solcher Verfahren mit einem erheblichen Versuchsaufwand erkauft werden. Seine Hauptvorteile liegen einerseits in einer eindeutigen Unterscheidung zwischen Schlafen und Wachen und andererseits in der Möglichkeit, die Wirkung von Schlafmitteln auf Schlafstadien zu untersuchen. Es sind vor allem drei Meßgrößen, die die Wirksamkeit eines Schlafmittels belegen: So verkürzt ein wirksames Präparat die Einschlaflatenz (die Zeit vom Insbettgehen bis zum Einschlafen), verringert die Häufigkeit und Dauer des Erwachens in der Nacht und verlängert die Gesamtschlafzeit. Je nachdem wie schnell die hypnotische Wirkung eintritt und wie lange sie anhält, fördert das Mittel vor allem den Schlaf in der ersten (»Einschlafmittel«) oder auch in der zweiten Nachthälfte (»Durchschlafmittel«).
 
Abb. 5.2: Selbstbeurteilungsskala mit einem Placebo und mit einem Schlafmittel. Wer abends ein Schlafmittel einnimmt, beurteilt am nächsten Morgen seinen Schlaf als tief und ruhig. Die Einstufung erfolgt auf einer Selbstbeurteilungsskala, auf welcher die Versuchsperson den Schlaf der letzten Nacht mit ihrem gewohnten Schlaf vergleicht und mit einem Kreuz markiert. Mit diesem einfachen Verfahren lassen sich Schlafmittelwirkungen zuverlässig feststellen. (20k JPG file)
 
Abb. 5.3: Bewegungen im Schlaf. Schlafmittel vermindern die Bewegungen nachts. Bei einem guten Schläfer wurde während der ganzen Nacht die Anzahl Bewegungen gemessen und für Perioden von jeweils 7,5 Minuten aufgezeichnet. Diese entstehen durch normale Körperbewegungen und Lageänderungen im Schlaf. Sie sind auf der Abbildung stark vergrößert dargestellt. Nach Einnahme eines Schlafmittels (untere Aufzeichnung) kommt es besonders in den ersten Stunden des Schlafs zu einer deutlichen Hemmung der Körperbewegungen. Die Messung der Bewegungsaktivität ist eine empfindliche Methode, um Schlafmittelwirkungen nachzuweisen. (24k JPG file)
 
 
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Wie beeinflussen Schlafmittel die Schlafstadien und das EEG?
 
Ein ideales Schlafmittel soll einen Schlaf bewirken, der sich vom natürlichen physiologischen Schlaf in nichts unterscheidet. Leider bleibt dieses ideale Medikament vorläufig ein Wunschtraum von Ärzten und Pharmakologen, denn die heute verwendeten Mittel verändern alle die Schlafstadien und das EEG. Schon zu Beginn der sechziger Jahre beobachtete der schottische Psychiater und Schlafforscher lan Oswald, daß Barbiturate die Gesamtdauer des REM-Schlafes vermindern. In einer Untersuchung wurde der REM-Schlafanteil am Gesamtschlaf von normal 20-25 Prozent auf 10-15 Prozent reduziert. Nach Absetzen des Mittels kommt es zu einem sogenannten REM-Schlaf-Rebound (= überschießende Gegenreaktion), wobei der Anteil des REM-Schlafs während einiger Tage über den Normalwert ansteigt (z. B. auf 30-40 Prozent). Wie an anderer Stelle ausführlich beschrieben, herrschte Anfang der sechziger Jahre die Meinung vor, daß die mit dem REM-Schlaf in Verbindung stehenden Traumvorgänge für die Erholung im Schlaf wichtig seien. Diese Ansicht, die sich in späteren Untersuchungen nicht bestätigt hat, trug maßgeblich dazu bei, daß der den REM-Schlaf unterdrückenden Wirkung von Schlafmitteln besonders nachteilige Folgen zugeschrieben wurden. Die pharmazeutischen Firmen überboten sich damals mit Behauptungen, daß ihr Mittel den REM- Schlaf überhaupt nicht oder zumindest weniger als das Konkurrenzpräparat beeinflusse. Genauere Untersuchungen zeigten bald, daß Schlafmittel nicht nur den REM-Schlaf unterdrücken, sondern auch den Tiefschlaf reduzieren. Gerade bei den Benzodiazepinen wurde die Tiefschlafreduktion oft beobachtet. Im Unterschied zur Wirkung auf den REM-Schlaf kommt es nach Absetzen des Mittels nicht zu einem Rebound, sondern zu einer allmählichen Normalisierung des Tiefschlafs.
 
In eigenen Untersuchungen haben wir die bereits beschriebene Spektralanalyse des EEG (Kapitel 2) angewendet, um die Wirkung verschiedener Benzodiazepine genauer zu untersuchen. Abbildung 5.4 zeigt, wie stark eine einzige Dosis eines solchen Schlafmittels das EEG verändern kann. Die Registrierung stammt von einer Untersuchung, in welcher an zwei verschiedenen Abenden vor dem Schlafengehen Placebo (Scheinpräparat) und ein weitverbreitetes, wirksames Benzodiazepin- Schlafmittel (Flunitrazepam = Rohypnol, 2 mg) verabreicht wurden. Die Spektralkurven zeigen an, daß in der Schlafmittelnacht einerseits die im Tiefschlaf auftretenden Gipfel der langsamen EEG- Wellen (1-9 Hz-Bereich) stark vermindert, andererseits die Gipfel der mittel-raschen EEG-Wellen (9- 14 Hz-Bereich) erhöht sind. Wir sehen schließlich auch, daß im Bereiche der raschen EEG-Wellen (14-25 Hz) im REM-Schlaf Gipfel auftreten, die in der Placebo-Nacht nicht vorhanden sind. Es ist bemerkenswert, daß diese ausgeprägten EEG-Veränderungen im Schlafprofil (oben im Bild angegeben) kaum erkennbar sind. Das ist darauf zurückzuführen, daß die für die Schlafstadien- Einteilung verwendeten Kriterien auf den Variationen des normalen Schlaf-EEG beruhen. Daher wirken sich die abnormen, durch das Schlafmittel erzeugten EEG-Veränderungen nur wenig auf die Schlafstadien aus. Indessen wäre es verfehlt, daraus zu schließen, Schlafmittel verursachten keine Veränderungen des natürlichen Schlafs. Aber man muß betonen, daß bis heute unklar ist, ob solche EEG-Veränderungen als Ausdruck einer Funktionsbeeinträchtigung des Gehirns aufgefaßt werden müssen und ob sie die Erholung im Schlaf beeinflussen.
 
Abb. 5.4: Schlafstadien und EEG-Spektren. Schlafmittel verändern die Hirnstromkurven im Schlaf. Wie auf der Abbildung 2.6 sind das Schlafprofil (oben) und die EEG-Spektren (unten) für zwei Nächte derselben Versuchsperson dargestellt. Die linke Darstellung zeigt eine gewöhnliche Nacht, die rechte eine Nacht nach Einnahme eines Schlafmittels. Das Schlafmittel unterdrückt die langsamen Wellen im EEG und erhöht den Anteil an mittleren und raschen Wellen. Abnorme rasche Wellen treten besonders während der REM-Schlafepisoden auf. Die Spektralanalyse läßt Veränderungen erkennen, die im Schlafprofil nicht sichtbar sind. (48k JPG file)
 
 
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Nachwirkungen von Schlafmitteln
 
Schlafmittel sollten idealerweise den Schlaf in der Nacht begünstigen, den Wachzustand am Tag jedoch nicht beeinflussen. Das ist häufig nicht der Fall. In einer kürzlich durchgeführten Untersuchung überprüften wir die Nachwirkung verschiedener gebräuchlicher Benzodiazepin- Schlafmittel, die in üblicher Dosierung vor dem Schlafengehen als Kapsel geschluckt wurden. Bei einem verbreiteten Präparat mit langer Halbwertszeit klagten morgens zehn von zwölf Versuchspersonen über Benommenheit, eine Nachwirkung, die bis zur Mittagszeit anhielt. Bei verschiedenen Präparaten stellten wir morgens um 9.00 Uhr eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit fest. Die Probanden mußten innerhalb von 20 Minuten auf der Schreibmaschine möglichst fehlerfrei einen aus sinnlosen Wörtern bestehenden Text abschreiben. Hatten die Versuchspersonen vor dem Schlafengehen ein Schlafmittel erhalten, machten sie am Morgen mehr Tippfehler. Auch mit Hilfe anderer Testverfahren konnte nachgewiesen werden, daß die Schlafmitteleinnahme zu einer Leistungsverminderung am nächsten Tage führen kann. Solche Nachwirkungen sind häufig belanglos, können aber dann wichtig werden, wenn Tätigkeiten mit hoher Konzentration und Aufmerksamkeit erforderlich sind. Wegen der anhaltenden leichten Tranquillizer-Wirkung nehmen die Patienten oft eine solche Leistungsabnahme selbst nicht wahr und überschätzen daher ihre eigenen Fähigkeiten. In Finnland wurden zum Beispiel bei Verkehrsunfällen bei einem relativ hohen Prozentsatz der Fahrer Benzodiazepine im Blut festgestellt. Nachwirkungen von Benzodiazepinen können nicht nur tagsüber andauern, sondern sogar noch in der folgenden Nacht nachgewiesen werden. Mit Hilfe der EEG-Spektralanalyse konnten wir kürzlich zeigen, daß nach einer einzigen Dosis eines Schlafmittels das Schlaf-EEG noch in der folgenden Nacht verändert ist.
 
Eine andersartige Nachwirkung von Schlafmitteln wurde vor einigen Jahren erstmals beschrieben: Besonders bei kurzwirkenden Mitteln kann es nach Absetzen des Medikaments zu einer vorübergehenden Verschlechterung des Schlafs kommen, ein Phänomen, das als »Rebound-Insomnie« bezeichnet wird. Es ist, als ob sich das Gehirn an das während längerer Zeit eingenommene Schlafmittel gewöhnt hat und nach plötzlichem Absetzen mit Entzugserscheinungen reagiert. Der Schlaf wird dabei vorübergehend unruhiger und oberflächlicher. Das hat leider oft zur Folge, daß Patienten wieder zur Tablette greifen, um die Schlafstörung zu beheben, und so nicht vom Schlafmittel loskommen. Eine allmähliche Reduktion der Dosis kann helfen, diese unangenehme Nachwirkung zu verhindern.
 
Da mit fortschreitendem Alter Schlafstörungen häufiger werden, nimmt auch der Gebrauch von Schlafmitteln zu. Ältere Leute reagieren indessen oft empfindlich auf diese Medikamente, und die Nachwirkungen sind ausgeprägter: Gleichgewichtsstörungen, Verwirrtheit und Gedächtnislücken können auftreten. Solche Symptome werden dann irrtümlich der Senilität der Patienten zugeschrieben. Im Alter ist daher mit Schlafmitteln ganz besondere Vorsicht geboten.
 
 
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Wie wirken Schlafmittel?
 
Wie dies in der Pharmakologie oft der Fall ist, sind Schlafmittel meist das Produkt von Zufallsentdeckungen. Sie entstehen nur selten als Folge rationaler wissenschaftlicher Überlegungen. So können wir zwar die gebräuchlichsten Schlafmittel hinsichtlich ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen gut beschreiben, ihren Wirkungsmechanismus jedoch verstehen wir kaum. Eine kürzlich gemachte Entdeckung hat indessen neue Hoffnung aufkommen lassen, daß die Wirkungsweise von Schlafmitteln vielleicht doch bald besser aufgeklärt werden kann. Im Jahre 1977 beschrieben eine schweizerische und eine dänische Forschergruppe, daß sich Benzodiazepine an bestimmte Stellen der Nervenzellmembran (Rezeptoren) binden. Dieser Befund war deshalb aufsehenerregend, weil einige Jahre zuvor die Entdeckung der Bindungsstelle von Opiaten (z. B. Morphin, Heroin) im Gehirn zur Entdeckung körpereigener Opiate (sog. Endorphine und Enkephaline) geführt hatte. Die Vermutung lag daher nahe, daß auch körpereigene Stoffe sich an die Benzodiazepin-Rezeptoren binden und dabei möglicherweise als natürliche Tranquillizer oder Schlafmittel wirken könnten. Trotz intensivster Bemühungen ist jedoch die Suche nach solchen Substanzen bisher vergeblich gewesen. Ganz erfolglos waren diese Forschungsanstrengungen aber nicht. Kürzlich ist es nämlich gelungen, Substanzen herzustellen, die zwar an den Benzodiazepin-Rezeptor binden, jedoch keine eigene biologische Wirkung ausüben. Die Verabreichung dieser sogenannten Benzodiazepin-Antagonisten macht es möglich, Schlafmittelwirkungen innerhalb kürzester Zeit wieder rückgängig zu machen. Vielleicht werden diese neuen Substanzen es ermöglichen, Wirkungen von Benzodiazepin-Schlafmitteln auf die nächtliche Schlafzeit zu beschränken. Noch ist es aber zu früh, die praktische Brauchbarkeit dieser interessanten neuen Präparate abzuschätzen.
 
 
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»Natürliche« Schlafmittel
 
Bisher haben wir nur über Medikamente gesprochen, die ausschließlich vom Arzt verordnet werden können. Es gibt aber auch eine ganze Reihe oft verwendeter rezeptfreier Schlafmittel. Besonders die Präparate pflanzlichen Ursprungs sind in der Volksmedizin seit langem bekannt. Baldrian-Präparate gehören zu den am meisten verbreiteten Mitteln dieser Klasse. Trotz ihrer großen Beliebtheit sind ihre Wirkungen aber noch wenig untersucht. Kürzlich ist der in der Schweiz tätige Forscher Peter Leathwood der Frage nachgegangen, ob ein wäßriger Baldrianextrakt den Schlaf beeinflußt. In einer Doppelblind-Studie untersuchte er 128 Probanden, die vor dem Schlafengehen Kapseln zu sich nahmen, die entweder Baldrianextrakt oder Placebo enthielten. Die Wirkung wurde anhand von Fragebogen ermittelt. Es zeigte sich, daß das Baldrian-Präparat tatsächlich die selbst angegebene Zeit bis zum Einschlafen verkürzte und die Schlafqualität verbesserte. Die Wirkung war bei den schlechten Schläfern am ausgeprägtesten. Nachwirkungen am nächsten Tag wurden nicht festgestellt. Diese bisher einzige, nach streng wissenschaftlichen Kriterien durchgeführte Untersuchung hat also die schlaffördernde Wirkung des Baldrianextraktes bestätigt. Es wäre nun wichtig, diesen positiven Befund durch weitere Untersuchungen zu erhärten und die Dosis-Wirkungsbeziehung zu klären. Schließlich wäre es auch erwünscht, die im Extrakt enthaltenen wirksamen Substanzen zu isolieren. Zusammen mit Gisela Balderer, einer Pharmazeutin, sind wir dabei, diese interessanten Probleme genauer zu klären.
 
In letzter Zeit macht das L-Tryptophan viel von sich reden. Es ist eine Aminosäure (d. h. ein Baustein von Eiweißen), die wir mit der Nahrung täglich in Mengen von 0.5-2 g zu uns nehmen. Obwohl es schon seit Jahren Berichte gibt, die auf eine schlaffördernde Wirkung von L-Tryptophan hinweisen, konnten andere Untersuchungen diese Ergebnisse nicht bestätigen. Aufgrund der vorliegenden Befunde müssen wir annehmen, daß diese Substanz bestenfalls ein schwaches Schlafmittel ist. In neuen Untersuchungen an Schlafgestörten wurde festgestellt, daß eine Schlafmittelwirkung erst nach einer mehrtägigen Einnahme auftrat. Es ist möglich, daß eine begrenzte Gruppe der Bevölkerung auf L- Tryptophan anspricht. Doch auch zur Bestätigung dieser Möglichkeit benötigen wir weitere Daten.
 
Alkoholische Getränke gehören zu den beliebtesten Hausmitteln gegen Schlafstörungen. Obschon auch hier »harte Daten« fehlen, ist doch anzunehmen, daß ein »Schlummertrunk« in vielen Fällen das Einschlafen begünstigt. Kleine Mengen von Alkohol wirken aber zu schwach zur Behandlung ernsthafter Schlafstörungen. Erhöht man die Dosis, nimmt die Wirkung zwar zu, doch bleibt sie meistens trotzdem auf die erste Nachthälfte beschränkt. Wie die Abbildung zeigt, kann es gegen Morgen zu einer eigentlichen Rebound-Insomnie kommen, die sich in längerer Schlaflosigkeit äußert. Der amerikanische Arzt E. T. Hurd schrieb schon 1891 »Leider ist der durch Alkohol verursachte Schlaf oft von kurzer Dauer. Der Patient erwacht nach einigen Stunden, ist aber wenig ausgeruht und kann während der restlichen Zeit wachliegen, ohne wieder einschlafen zu können.«[37] Auch Katersymptome gehören zu den bekannten und unerwünschten Nachwirkungen dieses Mittels.
 
Präparate pflanzlichen Ursprungs, die zum Inventar der Volksheilkunde gehören, werden vielfach als Naturmittel angepriesen. Ihre Anwendung bei Schlafstörungen ist oft mit der Vorstellung verknüpft, diese Präparate bewirkten einen natürlicheren Schlaf als die auf chemischem Wege künstlich hergestellten Medikamente. Solche Ansichten entspringen indessen einem Wunschdenken und beruhen nicht auf wissenschaftlich gesicherten Erfahrungen. Auch sollten wir uns bei diesem Fragenkomplex vor Augen halten, daß Mittel pflanzlichen Ursprungs nicht nur Heilwirkung, sondern auch - wie verschiedene Beispiele zeigen - gefährliche Nebenwirkungen (z. B. Krebsförderung) hervorrufen können. Die Aufklärung ihrer Wirkung sollte deshalb durch ebenso gründliche wissenschaftliche Untersuchungen erfolgen wie das für pharmakologische Präparate vorgeschrieben ist.
 
Abb. 5.5: Schaufenster eines amerikanischen Drug Stores. "Wir führen L-Tryptophan!" L-Tryptophan wird als natürliches Schlafmittel angepriesen, obwohl seine Wirkung noch sehr zweifelhaft ist. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. A. Wirz-Justice.) (24k JPG file)
 
Abb. 5.6: Schlafprofil nach Alkoholgenuß. Alkohol ist ein schlechtes Schlafmittel. Schlafprofil nach einem halben Liter Rotwein. Der Schlaf tritt rasch ein, hält jedoch nicht die ganze Nacht über an. Zwischen 4 und 6 Uhr liegt die Versuchsperson fast zwei Stunden schlaflos im Bett. Der REM-Schlaf- Eintritt ist verzögert. Unerwünschte Nachwirkungen (Katersymptome) am nächsten Tag sind häufig. (22k JPG file)
 
 
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Schlußbetrachtungen
 
Kehren wir am Schluß zu den eigentlichen Schlafmitteln zurück. Wir haben ihre Risiken, Nebenwirkungen und Nachwirkungen deshalb ausführlich dargestellt, weil sie von Laien und Ärzten vielfach zu wenig berücksichtigt werden. Bei ihrer Anwendung sollten wir uns vor Augen halten, daß Schlafmittel wirksame Medikamente sind, die die Schlafregulation und andere Gehirnfunktionen beeinflussen. Sie sollten deshalb nicht leichtfertig eingenommen werden, sondern nur dann, wenn eine erwiesene Notwendigkeit besteht. Dabei ist es wichtig, die Dosis so klein wie möglich zu halten und den Gebrauch auf eine möglichst kurze Zeitdauer zu beschränken, auch auf Grund der Erfahrung, daß bei einer längeren Anwendung die Wirksamkeit nachläßt. Trotz dieser Vorsichtsmassnahmen und der möglichen unerwünschten Wirkungen sollte man die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, daß die Einführung der Benzodiazepine in die Medizin einen wesentlichen Fortschritt bedeutet.
 
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