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Das Geheimnis des Schlafs von A. Borbély
- Kapitel 2
Buchausgabe © 1984 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart
(vergriffen)
Ausgabe für das Internet, 1998, A. Borbély, Universität
Zürich.
Wissenschaftler
untersuchen den Schlaf:
Die verschiedenen
Schlafstadien
Während des Schlafs erscheinen (Hirn-)Wellen,
die mit keinem feststellbaren äußeren Reiz
in Zusammenhang gebracht werden können,
die aber mit inneren Veränderungen
unbekannten Ursprungs in Verbindung stehen könnten.
A. L. Loomis, E. N. Harvey, G. Hohart, 1935
Anfänge der Schlafforschung
Es ist nicht erstaunlich, daß bis vor kurzem
nur wenige Wissenschaftler den Schlaf als einen lohnenden Forschungsgegenstand
betrachtet haben. Im Unterschied zum Wachzustand, der Beobachtungen und
Messungen zugänglich ist und über die Versuchspersonen auch selbst
Auskunft geben können, erscheint der Schlaf als ein weitgehend unzugänglicher
Vorgang. Es ist zwar möglich, die vom Schlafenden eingenommene Körperstellung
und ihre Änderungen zu beobachten oder die Atmung, den Puls und die
Körpertemperatur im Schlafe aufzuzeichnen. Solche Beobachtungen und
Messungen beziehen sich aber auf Begleiterscheinungen des Schlafes, die
nicht über die grundlegenden Prozesse Aufschluß geben. Ist andererseits
das Interesse der Forschung auf die Frage der Schlaftiefe ausgerichtet,
dann ist es unumgänglich, den Schläfer durch spezifische Reize
zu wecken oder zumindest im Schlafe zu stören. Das Untersuchungsobjekt
Schlaf wird also bei diesen Experimenten beeinflußt. Dennoch waren
es solche Versuche, die auf den Ablauf des Schlafprozesses erste Hinweise
gaben. So stellte der Physiologe Kohlschütter bereits im 19. Jahrhundert
fest, daß der Schlaf in den ersten Stunden am tiefsten ist und später
oberflächlicher wird. Was aber der modernen Schlafforschung zum Durchbruch
verhalf, das war die Möglichkeit, die im Gehirn entstehenden elektrischen
Ströme kontinuierlich aufzuzeichnen.
Heute werden auf der ganzen Welt in Tausenden von
Laboratorien und Kliniken Hirnstromkurven abgeleitet, die als Elektroenzephalogramm
(abgekürzt EEG) bezeichnet werden. Die für uns so selbstverständlich
gewordene Routinemethode der EEG-Registrierung ist jedoch noch nicht viel
älter als 50 Jahre.
Die Entdeckung des EEG
In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts versuchte
Hans Berger erstmals, von der Schädeloberfläche Hirnströme
abzuleiten. Berger, der damals der Neurologischen Abteilung des Landeskrankenhauses
in Jena vorstand, war bei seinen Kollegen als reservierter und korrekter
Arzt bekannt. Abends, nach Beendigung seiner klinischen Tätigkeit,
ging er seinen wissenschaftlichen Interessen nach. Mit nach unseren Begriffen
äußerst primitiven Registriergeräten (einem Edelmann- Galvanometer
und später mit einem Siemens-Spulen-Galvanometer) untersuchte er,
ob elektrische Hirnströme von der Schädeloberfläche abgeleitet
werden können. Als Ableitelektroden verwendete er u. a. Silberplättchen,
die er auf die Kopfhaut aufklebte. Die elektrischen Ströme, die er
mit diesem Verfahren registrieren konnte, waren kaum größer
als der von seinem unzulänglichen Gerät verursachte Rauschpegel.
Trotzdem gelang es ihm, bei entspannten, wachen Versuchspersonen regelmäßige
Wellen von etwa 10 Schwingungen pro Sekunde aufzuzeichnen, die heute allgemein
als Alpha-Rhythmus bekannt sind.
Bergers Arbeiten wurden von der Fachwelt anfänglich
ignoriert oder aber mit großem Mißtrauen aufgenommen. Erst
die Bestätigung durch die anerkannten Physiologen Adrian und Matthews
(1934) brachte seinen Entdeckungen die verdiente Anerkennung.
Betrachten wir nun, wie heute, 50 Jahre später,
EEG-Aufzeichnungen in der Schlafforschung verwendet werden.
Abb. 2.1: EEG, EOG und EMG. Stromkurven geben Aufschluß
über den Schlaf. Das Electroencephalogramm ist die Aufzeichnung von
elektrischen Hirnströmen, das Electrooculogramm von elektrischen Strömen,
die durch Augenbewegungen entstehen, und das Electromyogramm von Strömen,
die die Muskelspannung widerspiegeln. (29k JPG file)
Eine Nacht im Schlaflabor
Rebecca ist eine Studentin, die schon oft als Versuchsperson
an Schlafexperimenten teilgenommen hat und selbst auch an Schlafforschung
interessiert ist. Ihr Alpha-Rhythmus im Wachen ist gut ausgeprägt,
und die Veränderungen im Schlaf sind deutlich, was die Auswertung
der Kurven sehr erleichtert. Rebecca kommt heute zu einer ersten Angewöhnungsnacht
ins Labor, auf die dann mehrere Versuchsnächte folgen werden. Sie
zieht sich um und setzt sich im Pyjama in einen bequemen Stuhl, um sich
die EEG-Elektroden aufkleben zu lassen. Kleine tellerförmige Silberplättchen,
an welche ein dünnes, flexibles Kabel angelötet ist, werden mit
einer leitenden Paste gefüllt und zwischen den Haaren auf bestimmte
Stellen der Kopfhaut aufgedrückt. Diese Elektroden dienen zur Registrierung
des EEG. Zwei weitere Elektroden werden unter dem Kinn auf die Haut geklebt,
um die elektrischen Ströme der Kinnmuskeln (Elektromyogramm oder EMG)
abzuleiten. Die EMG-Aufzeichnung gibt Aufschluß über die Muskelspannung.
Schließlich werden noch Elektroden dicht neben den äußeren
Augenwinkeln angebracht, um die bei Augenbewegungen entstehenden elektrischen
Signale, das sogenannte Elektrooculogramm (EOG) aufzuzeichnen. Wie wir
sehen werden, ist das EOG für die Erkennung eines bestimmten Schlafstadiums
besonders wichtig. Nach dreiviertel Stunden sind alle Elektroden geklebt
und der elektrische Kontakt mit der Hautoberfläche kontrolliert. Nun
begibt sich Rebecca in das wohnlich eingerichtete, schallabgeschirmte Ableitzimmer,
in dem sie die Nacht verbringen wird. Nachdem sie sich ins Bett gelegt
hat, wird jedes Kabel in die entsprechende Buchse einer Stecktafel gesteckt,
die über dem Bett angebracht ist und die Verbindung mit dem Registriergerät
herstellt. Auf diese Weise können im benachbarten Zimmer die elektrischen
Signale nachts aufgezeichnet werden. Trotz der vielen Kabel am Kopf hat
Rebecca genügend Bewegungsfreiheit, um es sich im Bett bequem zu machen
und ihre gewohnte Schlafstellung einzunehmen. Der Versuchsleiter wünscht
eine gute Nacht und löscht das Licht. Nach einer letzten Kontrolle
der Einstellungen setzt er das Registriergerät in Betrieb. Das Papier
beginnt sich mit einer genau definierten Geschwindigkeit (15 mm/Sek.) zu
bewegen. Die Federn schlagen aus und zeichnen das EEG, EMG und EOG als
Kurven auf. Die Registrierung des Schlafs hat begonnen.
Abb. 2.2: Schlaf im Schlaflabor. Von den auf der
Kopfhaut, im Gesicht und am Kinn aufgeklebten Elektroden ziehen dünne
Kabel an ein über dem Bett aufgehängtes Anschlußkästchen,
von dem ein Kabel zum Registriergerät im Nebenraum führt. Über
der Schlafenden hängt ein Mikrophon, mit welchem Traumberichte aufgenommen
werden können. (47k JPG file)
Wach- und Schlaf-EEG
Auch für einen erfahrenen Schlafforscher ist
es jedesmal von neuem faszinierend, die Aufzeichnung des Schlafes direkt
mitzuverfolgen. Über das sich verändernde Kurvenbild fühlt
er sich in unmittelbarer Verbindung mit dem Schlafvorgang der Versuchsperson.
Während des Einschlafens geht der regelmäßige Alpha-Rhythmus
des Wachzustandes in ein kleinwelliges, rasches Muster über. Im weiteren
Verlauf des Schlafes weist das EEG allmählich höhere und langsamere
Wellen auf, die schließlich das Bild ganz beherrschen. Bereits in
den dreißiger Jahren hatten die amerikanischen Physiologen Loomis,
Davis und deren Mitarbeiter diese typischen Veränderungen des Schlaf-EEG
beobachtet, und festgestellt, daß mit der Vergrößerung
und Verlangsamung der Wellen eine Zunahme der Schlaftiefe einherging. Sie
versuchten anhand dieser Befunde den Schlaf in einzelne Stadien zu unterteilen.
Ihr Inventar der EEG-Veränderungen im Schlaf war jedoch noch unvollständig,
denn eines der wichtigsten Schlafstadien war zu jener Zeit noch nicht entdeckt.
Die Entdeckung des REM-Schlafs
Nathaniel Kleitman wird mit Recht als Großvater
der modernen Schlafforschung betrachtet. Der heute über neunzigjährige
Forscher verließ sein russisches Geburtsland im Ersten Weltkrieg
und ließ sich in Chicago nieder, wo er sich der experimentellen und
theoretischen Schlafforschung widmete. Sein 1939 erstmals erschienenes
und 1963 überarbeitetes Buch »Sleep and Wakefulness« enthält
über 4000 Literaturnachweise und ist heute noch ein Standardwerk der
klassischen Schlafforschung. Im Jahre 1952 interessierte sich Kleitman
für die langsamen, pendelnden Augenbewegungen, die typischerweise
den Einschlafvorgang begleiten, und beauftragte seinen Doktoranden Eugene
Aserinsky mit der genauen Untersuchung dieses Phänomens. Die Augenbewegungen
wurden, wie schon erwähnt, von in Augennähe angebrachten Hautelektroden
als Elektrooculogramm (EOG) aufgezeichnet. Zu seiner Überraschung
stellte Aserinsky mitten im Schlafvorgang EOG- Veränderungen fest,
die plötzlich auftretenden, raschen Augenbewegungen entsprachen. Dieser
unerwartete Befund stieß bei Professor Kleitman begreiflicherweise
auf Skepsis, da bis dahin rasche Augenbewegungen nur bei Blickänderungen
im Wachen bekannt waren. Die direkte Beobachtung schlafender Versuchspersonen
bestätigte indessen, daß unter den geschlossenen Lidern die
Augen sich tatsächlich bewegten. William Dement, damals Student bei
Kleitman und in der Folge einer der Pioniere der modernen Schlafforschung,
begann das Phänomen systematisch zu untersuchen. Er berichtete in
den folgenden Jahren als erster, daß nach dem Aufwachen aus dem Schlafstadium
mit raschen Augenbewegungen Versuchspersonen oft über Träume
berichteten. Es verging noch einige Zeit, bis klar wurde, daß rasche
Augenbewegungen im Schlaf mehr als nur eine kuriose Zufallsbeobachtung
waren. Ein grundlegend neuer Abschnitt des Schlafes war entdeckt worden.
Das Auftreten rascher Augenbewegungen in diesem Stadium führte zur
Bezeichnung REM-Schlaf (Rapid Eye Movement Sleep), die heute allgemein
verwendet wird.
Abb. 2.3: Schlafstadien. Die Schlafstadien werden
aus Stromkurven bestimmt, die vom Gehirn, den Augen und den Muskeln abgeleitet
werden. Mit zunehmender Vertiefung des Non-REM-Schlafes (von Stadium 1
bis Stadium 4) werden die Hirnstromkurven (EEG) größer und langsamer,
wobei die Muskelspannung (EMG) abnimmt. Während des Einschlafens (Stadium
1) treten langsame, pendelförmige Augenbewegungen auf. Im REM-Schlaf
sieht das EEG ähnlich aus wie im Stadium 1, während das EOG die
typischen raschen Augenbewegungen anzeigt. Die Muskulatur ist, abgesehen
von gelegentlichen Zuckungen, vollständig entspannt. (16k JPG file)
Die Abfolge der Schlafstadien - das Schlafprofil
Wir hatten Rebecca, unsere Versuchsperson, zu Beginn
der Schlafregistrierung verlassen. Stellen wir uns nun neben den Versuchsleiter
und beobachten das Kurvenbild der Aufzeichnung. Der Schlaf ist offensichtlich
noch nicht eingetreten, denn das EEG zeigt den für den entspannten
Wachzustand typischen Alpha-Rhythmus. Das EOG ist unruhig, denn die Augen
bewegen sich, und das ausgeprägte EMG weist auf hohe Muskelspannung
hin. Schon nach wenigen Minuten ändert sich das Bild. Der Alpha-Rhythmus
wird durch kleine, rasche, unregelmäßige Wellen abgelöst,
und das EOG zeigt langsame Schwankungen, die auf pendelförmige Augenbewegungen
beim Einschlafen zurückzuführen sind. Dies ist das Stadium 1,
ein Übergangsstadium zwischen Wachen und Schlafen. Schon kurz danach
erscheinen etwas höhere Wellen, die von sporadisch auftretenden, raschen
Wellen, den sogenannten Schlafspindeln, überlagert sind. Auch vereinzelte,
hohe, langsame Ausschläge (sogenannte K-Komplexe) kennzeichnen das
Kurvenbild. Der Muskeltonus hat sich gegenüber dem Wachen deutlich
verringert, die Augen sind ruhig. Diese Merkmale charakterisieren das Stadium
2, dessen erstmaliges Erscheinen von vielen Schlafforschern als der eigentliche
Schlafbeginn angesehen wird. Stadium 2 ist ein überaus wichtiges Schlafstadium,
nimmt es doch mehr als die Hälfte der gesamten Schlafzeit ein.
Nach wenigen Minuten werden die EEG-Wellen höher
und langsamer. Diese langsamen Wellen, die eine Frequenz von 1-4 pro Sekunde
aufweisen, werden als Delta-Wellen bezeichnet. Machen sie bloß 20-50
Prozent der Registrierzeit aus, so befindet sich der Schläfer im Stadium
3. Ist ihr Anteil höher als 50 Prozent, so entspricht der Schlaf dem
Stadium 4. Die Stadien 3 und 4 werden oft zusammen als Delta-Schlaf oder
Tiefschlaf bezeichnet. Rebecca befindet sich nun schon seit 20 Minuten
im Stadium 4. Das EMG zeigt weiterhin eine niedrige Muskelspannung an,
die Augen bewegen sich nicht. Plötzlich ändert sich das Bild.
Das EMG wird hoch, so daß die Federn des Schreibgerätes tintespritzend
vibrieren. Die Feder des EEG-Kanals geht bis an den Anschlag, für
einige Sekunden ist überhaupt keine Kurvenform erkennbar. Was ist
geschehen? Die Schläferin hat ihre Körperstellung geändert
und dadurch elektrische Störungen der Aufzeichnung bewirkt. Während
solche Körperbewegungen im sich vertiefenden Schlaf (Übergang
von Stadium 2 zu 3 und 4) selten sind, treten sie häufig am Ende des
Tiefschlafes auf. Nach dieser kurzen Bewegungsepisode folgt während
einiger Minuten wiederum das Stadium 2. Plötzlich aber wird innerhalb
von Sekunden das EMG- Signal flach, was auf ein fast völliges Verschwinden
der Muskelspannung hinweist. Die EEG-Kurve ist nun, ähnlich wie im
Einschlafstadium 1, klein und schnell. Der EOG-Kanal zeichnet scharfe Wellen
auf, die raschen Augenbewegungen entsprechen. Rebecca befindet sich in
der ersten REM-Schlaf-Periode. Diese dauert nur wenige Minuten und wird
vom Stadium 2 abgelöst. Ein neuer Zyklus beginnt. Wiederum folgen
die Stadien 3 und 4, worauf sich die zweite REM-Schlaf-Periode anschließt.
Wenn wir den gesamten Nachtschlaf betrachten, können wir vier bis
fünf solcher Zyklen unterscheiden. Der Tiefschlaf (Stadien 3 und 4)
tritt vor allem in den ersten beiden Zyklen deutlich in Erscheinung und
ist in den folgenden nur sehr kurz oder überhaupt nicht mehr vorhanden.
Umgekehrt werden die REM-Schlaf-Perioden von Zyklus zu Zyklus länger.
Die beiden Schlafstadien Tiefschlaf und REM-Schlaf zeigen also gegensätzliche
Tendenzen innerhalb der Nacht.
Die Entdeckung des REM-Schlafs übte eine derartige
Faszination auf die Schlafforschung aus, daß dieses Schlafstadium
ganz in den Mittelpunkt der Untersuchungen rückte. Der andere, schon
seit viel längerem bekannte Schlaftypus (Stadium 1 bis 4), erhielt
die wenig originelle Bezeichnung Non-REM-Schlaf. Ein Schlafzyklus besteht
demnach aus der Aufeinanderfolge von Non-REM- und REM-Schlaf. Die Periodenlänge
eines Non-REM-/REM-Zyklus beträgt gewöhnlich etwa 90 Minuten.
Wie wir noch sehen werden, ist diese zyklische Abfolge der Schlafstadien
eine überaus typische Eigenschaft des Schlafes, die nicht nur beim
Menschen zu beobachten ist.
Das EEG ist von Person zu Person verschieden. Manche
Versuchspersonen weisen im Tiefschlaf hohe Wellen auf, andere viel flachere.
Bei manchen ist der Alpha-Rhythmus sehr ausgeprägt, bei anderen überhaupt
nicht. Um trotz dieser individuellen Unterschiede verschiedene Untersuchungen
vergleichen zu können, stellte eine Gruppe amerikanischer Schlafforscher
Kriterien auf, die seither allgemein zur Definition von Schlafstadien verwendet
werden. Die hier beschriebenen Non-REM-Stadien 1 bis 4 und der REM-Schlaf
basieren auf den nach den Schlafforschern Rechtschaffen und Kales benannten
Kriterien. Ein geübter Versuchsleiter benötigt etwa eine Stunde,
um aus der Aufzeichnung einer Nacht für jede 30-Sekunden-Periode das
Schlafstadium zu bestimmen. Dabei muß er eine ganz ansehnliche Menge
Papier durchsehen, hat doch das gesamte EEG einer Nacht eine Länge
von über 300 m.
Abb. 2.4: Die »Schlaftreppe« in den ersten
drei Stunden der Nacht. Jede Treppenstufe entspricht einem Schlafstadium.
Nach dem Einschlafen »steigt man« über Stadium 2 in den
Tiefschlaf (Stadium 3 und 4) ab. Nach etwas mehr als einer Stunde tritt
die erste REM-Schlafepisode auf. Da der REM- Schlaf ein grundlegend anderer
Schlaftyp ist als der Non-REM-Schlaf, ist er als Säule dargestellt.
Obwohl das EEG im REM-Schlaf jenem im Einschlafstadium 1 entspricht, schläft
man doch tief. Der REM-Schlaf wird daher oft auch als »paradoxer
Schlaf« bezeichnet. Non-REM-Schlaf und REM- Schlaf folgen zyklisch
aufeinander. Hier sind nur zwei vollständige Schlafzyklen dargestellt.
(17k JPG file)
Abb. 2.5: Das Schlafprofil einer ganzen Nacht. Einschlafzeit:
23.10 Uhr, Aufwachzeit: 6.30 Uhr. Zuunterst ist die »Schlaftreppe«
ähnlich wie auf der vorherigen Abbildung dargestellt. Darüber
das Schlafprofil, wie es gewöhnlich aufgezeichnet wird. Vier vollständige
Non-REM/REM-Schlafzyklen sind durch senkrechte Striche abgegrenzt. Tiefschlaf
(Stadium 3 und 4) tritt nur in den ersten zwei Zyklen auf. REM-Schlaf-Episoden
werden in der zweiten Hälfte der Nacht typischerweise länger.
(35k JPG file)
Spektral-Analyse des Schlaf-EEG
Auf den erwähnten Kriterien basierend, unterteilt
man den Schlaf in 5 Stadien. Die Stadien 1-4 des Non-REM-Schlafes gehen
indessen fließend ineinander über, so daß durch die Stadien-Kriterien
relativ willkürliche Grenzen gesetzt werden. Die Ganznacht-Spektralanalyse
des EEG macht dies besonders deutlich und führt gleichzeitig vor Augen,
daß auch innerhalb der einzelnen Schlafstadien Veränderungen
vorkommen können.
Das EEG ist eine unregelmäßige Kurve,
die langsame und schnelle Wellen enthält. Die Spektralanalyse ist
eine in der Technik und neuerdings auch in der Biologie oft verwendete
Methode, um ein Signal wie z. B. das EEG in einzelne Frequenz-Komponenten
zu zerlegen. Aus dem Spektrum läßt sich entnehmen, wie groß
der Anteil rascher oder langsamer Schwingungen am Gesamtsignal ist. Die
Spektralanalyse des EEG gibt darüber Aufschluß, ob vor allem
langsame Wellen (niedere Frequenzen) oder rasche Wellen (hohe Frequenzen)
das Bild beherrschen. Im Laboratorium für experimentelle und klinische
Schlafuntersuchungen der Universität Zürich wurde eine neue Methode
entwickelt, die es erlaubt, EEG-Spektren für Perioden von 1 Minute
zu berechnen. Werden solche Berechnungen über die ganze Nacht durchgeführt,
so lassen sich die Veränderungen des EEG darstellen und mit den Schlafstadien
in Zusammenhang bringen. Für diese Analyse wird ein Laborcomputer
eingesetzt, um aus den fast 500'000 abgetasteten Einzelmeßwerten
des EEG die Spektren zu berechnen.
Wie aus Abbildung 2.6 ersichtlich
ist, kommt es nach Schlafbeginn zu einem allmählichen Ansteigen der
EEG-Aktivität in den unteren Frequenzbereichen (langsame Wellen),
wobei die Gipfel jeweils dem Tiefschlaf (Stadium 3 und 4) entsprechen.
Es ist deutlich sichtbar, daß die Höhe der Gipfel im Laufe der
Nacht abnimmt. In dieser Darstellung entsprechen die »Täler«
dem REM-Schlaf. Im Frequenzband des für den entspannten Wachzustand
typischen Alpha-Rhythmus (8-12 Hz) treten die höchsten Werte vor Schlafbeginn
auf. (Hertz [Hz] bezeichnet die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde.) Die
Aktivität im Bereich von 12-16Hz entspricht zum Teil den für
das Stadium 2 typischen Schlafspindeln. Dieses Band weist hohe Werte im
Non-REM-Schlaf und tiefe Werte im REM-Schlaf auf. Im höchsten Frequenzband
(16-25 Hz) sind kaum mehr stadienabhängige Veränderungen sichtbar.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die
Veränderungen der Spektralaktivität dem auf Schlafstadien basierenden
Schlafprofil weitgehend entsprechen, obgleich in der Spektralanalyse das
EOG und EMG nicht berücksichtigt sind. Das EEG ist demnach ein ausgezeichneter
Indikator für Zustandsänderungen des Gehirns während des
Schlafes. Die Vorgänge, die der Entstehung des EEG zugrundeliegen,
sind allerdings im einzelnen noch nicht geklärt. Es wird angenommen,
daß vor allem die an den Schaltstellen der Nervenzellen (Synapsen)
entstehenden elektrischen Ströme in der Hirnrinde für das EEG
verantwortlich sind. Da in der Hirnrinde viele Nervenzellen und Nervenfasern
gleichgerichtet angeordnet sind, summieren sich Tausende von elektrischen
Einzelpotentialen und können an der Hirnoberfläche als Hirnstromkurve
abgeleitet werden.
Abb. 2.6: Schlafstadien und EEG-Spektren einer Nacht.
EEG-Spektren erlauben eine besonders genaue Untersuchung der Veränderungen
im Schlaf. Oben ist das Schlafprofil wie in der vorherigen Abbildung dargestellt,
darunter die Spektralkurven für die langsamen (1-8 Hz), mittleren
(8-12 Hz) und raschen EEG-Wellen (12-25 Hz). Hohe Kurvenwerte geben an,
daß im betreffenden Frequenzbereich der Wellenanteil hoch ist. So
nimmt beispielsweise der Anteil an ganz langsamen Wellen (1-4 Hz) mit zunehmender
Tiefe des Non-REM-Schlafes zu und erreicht im Stadium 4 die höchsten
Werte. Die Spektralanalyse zeigt, daß die Veränderungen im Schlaf
genau genommen nicht treppenförmig, sondern kontinuierlich erfolgen.
Die Schlafstadien sind daher bloß eine grobe Annäherung an die
wirklichen Verhältnisse. (Hz ist die Abkürzung von Hertz = Anzahl
der Schwingungen pro Sekunde.) (27k JPG file)
Körperfunktionen im Schlafe
Wir haben uns bisher auf das EEG konzentriert, da
dieses Signal Zustandsänderungen im Schlaf besonders deutlich widerspiegelt.
Auch Änderungen der Muskelspannung sowie Augenbewegungen wurden erwähnt.
Wie steht es indessen mit anderen Körperfunktionen?
Mit Schlafbeginn werden viele Körpervorgänge
auf »Sparflamme« gesetzt. Die Körpertemperatur fällt
um einige Zehntel-Grad ab, Atmung und Puls werden langsamer, der Blutdruck
sinkt. Mißt man im Blut das in der Nebennierenrinde produzierte »Streßhormon«
Cortisol, so findet man tiefere Werte nach dem Einschlafen als im vorangehenden
Wachzustand. Umgekehrt verhält es sich mit dem Wachstumshormon, welches
in der ersten Tiefschlafphase extrem hohe Werte erreicht. Es ist möglich,
daß diese hormonellen Veränderungen nach Schlafbeginn eine Aktivierung
von Aufbauvorgängen im Stoffwechsel bewirken.
Anders als im Non-REM-Schlaf kommt es im REM-Schlaf
zu einer Aktivierung von Körpervorgängen. Mit dem Beginn einer
REM-Schlafepisode wird die Atmung unregelmäßig, und auch Puls
und Blutdruck zeigen kurzfristige Schwankungen. Eine weitere typische Begleiterscheinung
dieses Schlafstadiums ist die Erektion des Penis. Dieses Phänomen
wurde bereits in den vierziger Jahren beschrieben, aber erst nach der Entdeckung
des REM-Schlafes systematisch erforscht. Meßgeräte, welche die
Volumenänderungen des Penis (Phallus) anzeigen, erlauben die Aufzeichnungen
des sogenannten Phallogramms zusammen mit dem EEG. Erektionen im REM- Schlaf
treten nicht etwa erst im Erwachsenenalter auf, sondern kommen auch bei
Kindern und sogar schon bei Säuglingen vor. Phallogramme im Schlaf
werden heute zu diagnostischen Zwecken in der klinischen Medizin registriert.
Bei Patienten, die unter Impotenz leiden, helfen sie zu klären, ob
eine organische Ursache (z. B. eine Nervenerkrankung) vorliegt oder ob
psychische Gründe verantwortlich sind. Die letzteren beeinträchtigen
Erektionen im REM-Schlaf nicht.
Das Schlaf-Ende kündigt sich bereits vor dem
Erwachen an: Die Körpertemperatur und Cortisol zeigen eine steigende
Tendenz, Körperbewegungen werden häufiger. Es ist, als ob sich
der Organismus bereits auf die bevorstehende Wachzeit vorbereitet.
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